Geschichte aus „Der Grünling“

       

      von RenéHampe

       

       

      Gewaltige Strömung

       

       

      Ewigzahn hatte sich, nach seiner erfolgreichen Rettungsaktion, rasch von Grünling verabschiedet. Er hatte Grünling sein kleines Geheimnis verraten, Ewigzahn verabredete sich mit einer netten Haidame, zu der er nun unterwegs war. Als Grünlings Gleiter sich sanft in den Wellen wiegte, fiel sein Blick auf seine Vielzweckuhr, wobei er wehmütig an seinen, für immer defekten, Lieblingswecker dachte. Dabei machte er eine verblüffende Feststellung, mittlerweile befand er sich schon genau fünf irdische Jahre auf diesem, so abenteuerreichen, Planeten Erde. Grünling rechnete diese Zeitspanne in Marszeit um, das Ergebnis betrug etwas mehr als zweieinhalb Jahre, somit ist ein Erdjahr nur etwa halb so lang wie ein Marsjahr. Er vergewisserte sich an seiner Vielzweckuhr, sie gab die Länge beider Jahre in Tagen an, die ihm dies auch bestätigte. Danach hat das Erdjahr 365 Tage und das Marsjahr, ungefähr das Doppelte, nämlich 687 Tage.

       

      Ewigzahn berichtete, vor seinem Aufbruch, von der unbeschreiblichen Schönheit des großen Riffes. Daraufhin faste Grünling den Entschluss, sich davon einfach einmal selbst zu überzeugen. Vorher musste er jedoch noch den Gleiter kontrollieren, zum Glück waren die Schäden durch Ewigzahns Rettung nur Oberflächlich. Jetzt konnte er mit seiner transparenten Haube abermals das Cockpit schließen. Nachdem Grünling einige Meter tief getaucht war, empfing ihm eine atemberaubende, bezaubernde und recht stille Welt. Das von oben einfallende Tageslicht rief die schönsten und farbenprächtigsten Reflexe hervor. Grünling musste sich regelrecht von diesem Anblick losreißen, um nicht stundenlang zuzusehen. Langsam begann er seine Umgebung genauer zu betrachten. Die Korallen, Ewigzahn hatte diesen Namen benutzt, erinnerten ihn irgendwie, in Formen und Farben, an Blumen. Zusätzlich hatte er erfahren, dass Korallen, von denen es 6500 verschiedene Arten gibt, gering entwickelte Tiere sind. Da sie sich jedoch nicht wie Tiere fortbewegen können, ähnelten sie in diesem Punkt tatsächlich Pflanzen. Grünling fiel daraufhin ein passender Name ein, Blumentiere. Fast alle Korallen bilden ein Kalkskelett, wobei nur die obere Schicht aus lebenden Blumentieren besteht. So, erkannte Grünling, war dieses Riff entstanden, ein Korallenriff. Weil immer die Nachkommen der Blumentiere auf ihren Vorfahren wachsen, wuchs auch das Riff allmählich in die Höhe. Da dieses Wachstum jedoch sehr langsam geschieht und es ein so großes Riff war, konnte sich Grünling sehr gut ausrechnen, dass es einige Tausende von Jahren dauerte, solch eine gewaltige Größe zu erreichen. Während Grünling dies alles durch seinen Kopf ging, bewunderte er gleichzeitig die Vielzahl von kleinen und großen Fischen. Auch sie zeigten sich in den schönsten und schillerndsten Farben, wobei einige farblich sogar fast mit dem Hintergrund verschmolzen. So eine perfekte Form der Tarnung fand Grünling natürlich äußerst Faszinierend. Zwischenzeitlich hatte er sich dem Rand des Riffes genähert, von wo es beinahe senkrecht in die Tiefen des Meeres abfiel. Grünling faste den kühnen Entschluss, sich von dieser Seite her auch das Riff anzusehen, was sollte schon passieren.

       

      Langsam steuerte Grünling seinen Gleiter über die Riffkante und drehte ihn wieder zum Riff herum. Dann veränderte er seine Tiefe um etwa zehn Meter nach unten, wobei ein leichter Ruck durch den Gleiter lief. Grünling maß dem keine große Bedeutung bei, weil er gerade etwas bemerkenswertes entdeckte. An der Riffkante konnte er die einzelnen Schichten der Blumentiervorfahren gut erkennen. Jetzt wollte er versuchen, indem er die Schichten zählte, das genaue Alter festzustellen. Als er jedoch noch etwas nach unten sank, wirbelte der Gleiter unkontrollierbar immer weiter in die Tiefe. Eine gewaltige unterseeische Strömung hatte ihn erfasst. Nach einer Grünling endlos erscheinenden Weile, befand er sich in der tiefsten Tiefsee. Um ihn herum war es absolut Finster und Grünling saß erst einmal fest.